Bab Al-Zawiye after the clashes.

Die Teufeljagd

Der Nikolaus und die Krampusse, so wie ich sie in Erinnerung habe.
Der Nikolaus und die Krampusse, so wie ich sie in Erinnerung habe.
Am 6. Dezember feiern wir zuhause den Heiligen St. Nikolaus. An diesem Tag besucht er Kinder und liest aus seinem Buch vor, was die Kleinen im letzten Jahr so getrieben haben. Waren sie brav, bekommen sie ein Geschenk. Waren sie nicht artig, tritt der Krampus in Erscheinung – eine Teufel-ähnliche Kreatur, die den Nikolaus begleitet – und bestraft die Kinder.

So sehen die düsteren Gestalten heute aus.
So sehen die düsteren Gestalten heute aus.
Am Abend vor dem Nikolaus Tag spielt sich ein recht eigentümliches Spektakel ab – die Krampusse sind in den Straßen unterwegs, um sich bemerkbar zu machen und Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Die meisten Leute versuchen ihnen aus dem Weg zu gehen. Die „coolen und mutigen“ Kinder wagen sich jedoch auf die Straße, um die Teufel zu ärgern. Als ich klein war, war ich natürlich auch immer bei dieser Teufeljagd dabei. Nicht, weil ich es besonders lustig fand – um ehrlich zu sein, ich habe mich unheimlich gefürchtet und mich versteckt, damit ich ja keinem Krampus begegne – sondern weil man bei der Krampusjagd einfach dabei sein muss. Alle meine Freunde haben auch mitgemacht. Es war ein Nervenkitzel.

Boys up on the roof during the clashes.
Von den Dächern aus haben die Burschen einen genauen Überblick über das Geschehen.
Diesen Nervenkitzel, den ich seit meiner letzten Begegnung mit einem Krampus nicht mehr gespürt habe, empfinde ich hier in Hebron jeden Freitag. Freitag ist der Tag der Zusammenstöße. Geschäfte sind geschlossen, es ist Schulfrei, die Leute sind zuhause oder in der Moschee, um zu beten. So wie an jedem gewöhnlichen Freitag in der muslimischen Welt, jedoch mit einem kleinen Unterschied. Nach dem Mittagsgebet versammelt sich eine Gruppe von Jugendlichen in Bab Al-Zawiya, dem Grenzgebiet zwischen H1 und H2. Zu Beginn ist meist die palästinensische Polizei vor Ort, um nach dem Rechten zu sehen. Nach einer Weile zieht sie jedoch wieder ab. Kurz darauf werden die ersten Steine von den Jugendlichen in Richtung H1 geworfen. Dann rücken Solaten an. Sie sind voll bewaffnet. Manchmal werden sie von der Riot Police begleitet. Als Erstes kommen Lärmgranaten zum Einsatz. Die Antwort: Mehr Steine. Die Gegen-Antwort: Tränengas. Je nach Intensität der Zusammenstöße, verwenden die Soldaten auch Gummigeschoße oder sogar scharfe Munition. Ein paar Straßen weiter herrscht ein alltägliches Treiben. Niemanden scheinen die Vorgänge in Bab Al-Zawiye besonders zu interessieren. Sie finden schließlich jeden Freitag statt, also was soll’s?

Die Soldaten machen sich bereit.
Die Soldaten machen sich bereit für die Zusammenstöße.
Immer wenn ich diese Zusammenstöße beobachte, fühle ich mich genau so wie damals, als ich mich vor den Krampussen versteckte. Aber im Unterschied zur Teufeljagd, sind die Zusammenstöße hier in Hebron nicht nur ein dummes Spiel. Es handelt sich nicht um verkleidete Leute die Spaß daran haben, Kinder zu erschrecken, die ihnen hinterherjagen. Es ist die bittere Realität in vielen Orten in den Besetzten Palästinensischen Gebieten. Menschen können schwer verletzt werden. Manchmal fallen sogar tödliche Schüsse, so wie es vor einem Monat in Ramallah geschah.

After the clashes, we sometimes collect teargas and sound grenade containers and bring them home.
Manchmal sammeln wir Tränengas und Lärmgranaten Behälter auf und bringen sie mit nachhause.
Wenn ich heute einen als Krampus verkleideten Jungen in der Straße antreffe der Kinder erschreckt, möchte ich ihm gerne sagen: „Meinst du das echt ernst? Muss das sein? Reiß dich doch ein wenig zusammen.“ Den Kindern würde ich raten, mit dem Blödsinn aufzuhören und einfach nach Hause zu gehen. Es gibt sinnvollere Dinge, in die man seine Zeit und Energie investieren kann. Ich wünschte, ich könnte das gleiche zu allen Leuten sagen, die hier an den Zusammenstößen beteiligt sind…