Das Schweigen Brechen

„Es ist ein Ort [Hebron] in dem das Leben für viele Soldaten… sie alle spüren, dass sie etwas Falsches tun… lass es mich so sagen. Sie können es alle aufzeigen und einordnen. Ich kann mit Sicherheit sagen, dass es unglaublich ist, welche Macht man dort ausüben kann. Weil man bewaffnet durch einen Ort zieht, in dem einen viele Menschen hassen. Weil man in ihre Häuser eindringt. Es ist eine allgegenwärtige Provokation. Man dringt in ein Haus ein, einfach so, und schmeißt die Leute raus.“* Diese Worte stammen von einem ehemaligen IDF (Israel Defense Forces) Soldaten, der sich dazu entschlossen hat, offen über seine Erfahrungen in der Israelischen Armee zu sprechen.

Er ist Teil von Breaking the Silence, einer Organisation ehemaliger Soldaten, die in den Besetzten Palästinensischen Gebieten gedient haben. Es kommt nur sehr selten vor, dass Soldaten über ihre Zeit im Militär sprechen. Der Großteil von ihnen entscheidet sich dafür, ihre Familien, Freunde und die gesamte Israelische Gesellschaft im Dunkeln darüber zu lassen, was sie tun mussten, um die Israelische Besatzung in den Palästinensischen Gebieten aufrecht zu halten.

Ein Soldat berichtet

Nadav talking to the group.
Nadav berichtet von seinem Militärdienst.
Vor wenigen Tagen bekam ich die Gelegenheit, an einer Breaking the Silence Tour in Hebron teilzunehmen. Nadav, ein ehemaliger IDF Soldat, teilt offen und ehrlich seine Erfahrungen mit mir und einer Gruppe von Touristen aus aller Welt. Wenn man nur auf seine Stimme hört und nicht darauf achtet, was er eigentlich sagt, könnte man meinen, er erzählt unschuldige Pfadfindergeschichten. Aber dem ist nicht so. Er spricht über die Realität Israelischer Soldaten: „Als ich in die Armee eintrat, war ich der Meinung, dass ich Israel verteidigen würde. Glaubt mir, dem war nicht so.“

Unbeschönigte Offenheit

Ich bin beeindruckt von seiner Offenheit. Weder übertreibt er, noch spielt er etwas herunter. Er nennt die Dinge beim Namen. Er spricht über Nachtrazzien in palästinensischen Häusern, die als Militärübung dienen: „Es sind unschuldige Familien – unbeteiligte Zivilisten, wie man sie im Militärjargon nennt – die für solche Übungen ausgesucht werden. Sie laufen folgendermaßen ab: Wir dringen Mitten in der Nacht in ein Haus ein, während die Bewohner schlafen. Dann schaffen wir sie so schnell wie möglich in einen Raum und sperren sie dort ein. Wir bleiben ein paar Stunden im Haus und ziehen dann wieder ab. Das ist Teil des Trainings. Als ich zum ersten Mal an einer solchen Nachtrazzia teilnahm, drang ich in ein Schlafzimmer ein, riss eine Person aus dem Bett und zerrte sie ins Badezimmer. Als ich näher hinsah, bemerkte ich, dass es ein Kind war – ein Junge, nicht älter als 12.“ Nadav erzählt, dass er sich am darauffolgenden Morgen fragte, ob das wirklich er selbst war, der so etwas tat.

Darüber reden

Für Nadav ist der Militärdienst vorbei. Andere Soldaten stecken mitten drin.
Für Nadav ist der Militärdienst vorbei. Andere Soldaten stecken mitten drin.
Es fühlt sich grotesk an, diese Geschichten zu hören, wissend, dass all die Dinge die er berichtet, nicht aus einer düsteren Vergangenheit stammen. Sie passieren genau in diesem Moment, jeden Tag, überall in den Besetzten Palästinensischen Gebieten. Und dennoch, in Israel spricht so gut wie niemand über diese Realität. „Die Geschichte der Besatzung wird aus dem öffentlichen Leben gestrichen und unter Verschluss gehalten“, steht auf der Homepage von Breaking the Silence geschrieben. Es gibt jedoch eine kleine Anzahl von Frauen und Männern, den Mut besitzen, über das zu sprechen, was sie im Namen ihres Landes ausführen: „Wir haben das Schweigen gebrochen, weil wir der Realität ins Auge blicken und Verantwortung übernehmen wollen. Wir nehmen unsere Pflicht wahr, der Israelischen Gesellschaft mitzuteilen, was in ihrem Namen vollzogen wird. Wir rufen die Israelische Gesellschaft dazu auf, sich mit der Realität auseinanderzusetzen, weil wir der Meinung sind, dass der moralische und soziale Preis den wir für diese Realität bezahlen, unerträglich ist.“

Also sprechen sie darüber. Sie sprechen mit ihren Familien. Sie sprechen mit ihren Freunden. Sie halten Vorträge. Sie führen Menschen durch die Besetzten Palästinensischen Gebiete. Sie stellen Video-Botschaften online. Sie brechen das Schweigen.

Die Besatzung

„Ich würde sagen, sie ist absurd [die Besatzung]. Ich würde sagen, sie korrumpiert uns. Ich würde sagen, sie korrumpiert die anderen. Ich würde sagen, wir verlieren in beide Richtungen. Ich würde Menschen dazu aufrufen, aufmerksam zu sein, zu verstehen und zu lernen, was dort vor sich geht. Ich würde ihnen raten, dort hin zu fahren und mit Menschen zu sprechen. Ich würde sie bitten, hinzuschaun um zu verstehen, dass das für unsere Gesellschaft – auch aus dem egoistischsten Blickwinkel – das größte Übel ist. Für die Menschen, den Staat, die Wirtschaft und die Bildung. Es ist das größte Übel.“*

* Diese Zitate stammen aus dem Buch: „Breaking the Silence: Soldiers’ Testimonies from Hebron, 2005 – 2007“

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