Das Heilige Land

Ich frage mich oft, warum dieser Ort das Heilige Land genannt wird. Es gibt viele Attribute um es zu beschreiben – faszinierend, verwirrend, gewaltsam, brutal, stürmisch, kriesengeschüttelt, usw. Aber heilig? Nein, heilig ist nicht das erste Wort, das mir in den Sinn kommt, wenn ich durch einen Metalldetektor gehe, meine Taschen von Sicherheitsbeamten durchsucht werden und ich meinen Pass vorweisen muss um auf den Tempelberg in Jerusalem zu gelangen – anscheinend einer der heiligsten Orte der Welt. Oder wenn ich im Bus neben einem 18-jährigen, voll bewaffneten Soldaten sitze, der Angry Bird auf seinem Smartphone spielt. Oder wenn ich die furchtbaren Bilder vom Krieg in Gaza sehe. Trotzdem, Millionen von Menschen die hier leben und sich gegenseitig für das eigene Leid verantwortlich machen, scheinen sich einig darin zu sein, dass dieser Ort heilig ist. Wie kann das möglich sein?

Ein Spiegel für die Welt
Vielleicht versucht uns dieses sogenannte Heilige Land etwas zu sagen, aber wir sind nicht fähig, genau hinzuhören. Vielleicht ist es ein Spiegel für die Welt. Ich möchte Nichts von dem was hier passiert irgendwie rechtfertigen. Ich versuche es zu verstehen. Und um zu verstehen, muss man die Geschehnisse meiner Meinung nach in einem größeren Zusammenhang betrachten.

Palestinian workers passing through Qalandia Checkpoint at 5 am.
Palästinensische Arbeiter am Qalandia Checkpoint um 5 Uhr morgens.
Die Checkpoints. Palästinenserinnen und Palästinenser die eine Arbeitserlaubnis für Israel besitzen, müssen tagtäglich durch Checkpoints, um in Niedriglohn-Jobs mit oft sehr geringen sozialen Sicherheiten arbeiten zu können. Wenn der Arbeitgeber ihre Arbeitsleistung nicht mehr braucht, kann er schlicht die Arbeitserlaubnisse der Arbeiter annullieren und lässt sie so von einem Tag zum nächsten ohne Einkommen zurück.
Zur selben Zeit ertrinken tausende Flüchtlinge die aufgrund von Krieg und Vertreibung ihre Heimat verlassen müssen, im Mittelmeer, bevor sie überhaupt um ein Visum oder eine Arbeitserlaubnis in Europa ansuchen können. Und viele der Menschen, die es nach Europa schaffen, werden dazu gezwungen, in Niedriglohn-Jobs ohne jegliche soziale Sicherheiten zu arbeiten.

The wall in Bethlehem.
Die Mauer zwischen Bethlehem und Jerusalem.
Die Mauer. Israel hat sich dazu entschlossen, eine Mauer zu bauen „um die Bewoherinnen und Bewohner des Landes vor Terroristen zu schützen“, auch wenn uns die Geschichte immer wieder gezeigt hat, dass Mauern keinen Frieden bringen.
Zur selben Zeit arbeitet die USA daran, eine Mauer entlang der mexikanischen Grenze zu errichten, „um illegale Einwanderung zu unterbinden“.

Freiheitsentzug. Das palästinensische Volk lebt seit 1967 unter israelischer Militärbesatzung. Freiheitsentzug, kaum Zugang zu Ressourcen und Hoffnungslosigkeit sind fixe Bestandteile ihres Lebens. Die ganze Welt weiß darüber Bescheid. Jedoch scheint niemand die Macht oder den Willen zu besitzen, die Situation zu verändern.
Zur selben Zeit leben Millionen von Menschen weltweit in Slums, oft kontrolliert von bewaffneten Gruppen. Sie haben keinen Zugang zu Sozialleistungen, Bildung oder medizinischer Versorgung. Jeden Tag sterben Menschen an Unterernährung oder heilbaren Krankheiten. Sie leben zwar nicht unter militärischer Besatzung. Jedoch wird auch ihnen die Freiheit, eigenständig über ihr Leben bestimmen zu können, entzogen. Und die ganze Welt weiß darüber Bescheid.

Soldiers in the Old City of Hebron.
Soldaten in der Altstadt von Hebron.
Wie gesagt, ich versuche nicht, die Geschehnisse, die hier vor sich gehen, zu rechtfertigen. Die von mir beschriebenen Gegebenheiten sind zweifellos falsch und müssen verändert werden. Aber vielleicht konfrontiert uns das Heilige Land mit diesen Ungerechtigkeiten, um uns die Augen zu öffnen. Vielleicht versucht es uns verstehen zu geben, dass wir uns selbst und dadurch der ganzen Welt schaden, wenn wir anderen Menschen Leid zufügen; dass niemand je wirklich frei sein kann, wenn nicht jeder Mensch die Chance auf ein Leben in Freiheit und Würde bekommt. Und dass das Heilige Land nie wirklich heilig sein wird, außer wir erkennen den größeren Zusammenhang.

Was wir wirklich brauchen
Um also zu verändern, was in Israel und den besetzten palästinischen Gebieten und im Rest der Welt geschieht, brauchen wir keine Waffen oder Militärmächte. Wir brauchen auch keine verärgerten Menschen. Was wir wirklich brauchen sind Menschen, die die Größe besitzen, zu vergeben – sich selbst und anderen. Menschen, die fähig sind, ihr eigenes Handeln kritisch zu hinterfragen und es gegebenenfalls auch zu verändern. Menschen, die den Mut besitzen, Verantwortung zu übernehmen – für ihr eigenes Handeln, aber auch dafür, was in ihrem Namen geschieht. Es braucht Menschen, die keine Angst davor haben, auf „den Feind“ zuzugehen und gemeinsam an nachhaltigen Lösungen für alle zu arbeiten. Authentische Menschen, die Kompromisse eingehen können, auch wenn es bedeutet, dass sie ihre eigenen Vorstellungen loslassen müssen. Was wir im Heiligen Land und auch im Rest der Welt brauchen sind Menschen die verrückt genug sind daran zu glauben, dass sich die Menschheit tatsächlich weiterentwickeln kann. Das System in dem wir leben wurde schließlich von Menschen kreiert. Es liegt also auch an uns Menschen, es zu verändern.

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